23. Juli 2018

Als die jüdischen Mitschüler ausgeschlossen wurden

Elftklässler des HGÖ erhalten im Schularchiv Einblick in die dunklen Zeiten der Geschichte ihres Gymnasiums – von Bettina Hachenberg

Artikel aus der Hz 23.07.2018

Über zwei Jahre hat Walter Rößler das HGÖ-Archiv geordnet. Die Ordner im Wandschrank beinhalten auch Dokumente über die jüdischen Schüler. Fotos: Hachenberg

Es ist ein kleiner Raum im Altbau des Hohenlohe-Gymnasiums. Einst war dort das Sekretariat, heute steht „SMV“ am Türschild. Und doch schlummert im abgeschlossenen Wandschrank ein Schatz: das Archiv eines der ältesten Gymnasien Deutschlands. Denn ein solches ist das HGÖ, dessen Anfänge auf das Jahr 1545 zurückgehen. Das Archiv ist gleichsam das historische Gedächtnis der Schule, die im Lauf der Jahrhunderte vom Gymnasium über die Lateinschule zum Progymnasium und dann wieder zum Gymnasium wurde. Gesichtet und geordnet hat das Archiv zu Beginn seines Ruhestands in über zweijähriger akribischer Arbeit und mit Unterstützung des Hohenlohe-Zentralarchivs Walter Rößler. Der über 90- Jährige war von 1960 bis 1990 Lehrer und auch Konrektor am HGÖ.

Zwang

Am Aktionstag gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus öffnet Walter Rößler mit dem Schlüssel, den er zu Hause hütet, den Schrank für neun Oberstufenschüler der Klasse 11. Was erzählt das Archiv über die jüdischen Schüler, die bis zu ihrem erzwungenen Austritt im Jahr 1936 das damalige Progymnasium im Stift besuchten? Mit Hilfe seines Findbuchs, das er angelegt hat, zieht Rößler die passenden Dokumentenordner hervor. Schülerlisten, amtliche Erlasse, Schreiben geben Auskunft und doch – zwischen den Jahren 1933 und 1945 scheint nicht mehr alles vollständig erhalten zu sein. „Offensichtlich war es so, dass Akten entfernt wurden, um Leute nicht zu belasten“, vermutet Rößler. Denn Ausgrenzung und Diskriminierung auch durch Lehrer und Mitschüler gehörten nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 zum Alltag der jüdischen Schüler. Im Schuljahr 1932/1933 waren unter den insgesamt 150 Schülern 14 jüdische Schüler, 1935/36 waren es unter 168 Schülern zwölf. Im Schuljahr 1936/37 findet sich kein jüdisches Mädchen oder jüdischer Junge mehr in der Schülerliste. Laut Unterlagen im Archiv gingen einige von ihnen nun auf eine „Privatschule“ in Öhringen.

Erinnerung

Wie Anita Scheuer, geborene Israel. Die heute 94-Jährige lebt bei Tel Aviv und erinnert sich noch sehr gut an ihre Schulzeit im Progymnasium, wo sie die Klasse für den Realschulabschluss besuchte. Wenige Tage vor dem Aktionstag erzählt sie Bettina Hachenberg von ihrer Schulzeit. Die HZ-Redakteurin berichtet den Oberstufenschülern davon. So musste Anita mit 13 Jahren die Schule im Stift verlassen. Auch die Intervention ihres kriegs- versehrten Vaters, der den Rektor aufsuchte, nützte nichts. „Herr Israel, es kommt von oben, ich kann nichts machen“, sei die Antwort gewesen. Zusammen mit allen anderen jüdischen Schülern, von der ersten bis zur achten Klasse, wurde sie dann in der Synagoge in der Unteren Torstraße von dem jungen Rabbi Hans Bodenheimer in einem Raum unterrichtet. In schlimmer Erinnerung ist ihr besonders ein Lehrer am Progymnasium geblieben, der die jüdischen Schüler drangsaliert habe. Seinen Namen hat sie vergessen. Bei der Recherche im HGÖ-Archiv taucht dieser Name wieder auf. Wie auch die Namen ihrer jüdischen Mitschüler, von denen einige wie sie selbst emigrieren konnten, andere deportiert und ermordet wurden.

„Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich erinnert, damit es nicht wieder passieren kann“, meint Elftklässlerin Judith am Ende des rund eineinhalbstündigen Exkurses auch in die dunklen Zeiten der Geschichte des HGÖ. Ausgrenzung und Rassismus heute an der Schule? Das sei wohl eher weniger der Fall, zeigt sich Schüler Leo überzeugt.

Rößler zeigt die Schulordnung des Hohenlohischen Gymnasiums von 1545.

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